Organisationslehre. 1. Grundlagen und Begriffe

1.5 Der situative Ansatz

Gibt es allgemeine Prinzipien, nach denen eine Organisation optimal strukturiert werden kann?

Nein, sagt der in den 50er und 60er Jahren entstandene situative Ansatz, der auch heute noch Erhellendes zum Verstehen organisatorischer Zusammenhänge leisten kann. Es gibt eine analytische und eine pragmatische Variante. Letztere geht davon aus, dass ein rationaler Organisator bestimmte Ziele für die Organisation verfolgt und zu diesem Zweck die am besten geeignete Strukturalternative auswählen möchte.

Die Effizienz eines Organisationsmodells hängt von der Natur der Arbeit und den jeweiligen Aufgaben, die auszuführen sind, ab. Geeignet ist eine Organisationsstruktur, wenn durch sie die gewünschten Wirkungen erzielt werden. Es gilt also diejenige Strukturalternative auszuwählen, mit der vermutlich die Unternehmensziele am besten erreicht werden kann. Inwieweit dies mit dieser Alternative tatsächlich gelingt, hängt jedoch von den jeweiligen situativen Bedingungen ab [Kieser / Kubicek 1983: 64].


Wo sind situative Unterschiede?

Große und kleine Organisationen

Große Organisationen stehen einer anderen Situation gegenüber als kleine und benötigen entsprechend auch eine andere Organisationsstruktur. Worin unterscheiden sie sich? Große Organisationen sind meist stärker formalisiert als kleine, sie haben eher schriftlich fixierte Steilenbeschreibungen und Planungssysteme. Die Spezialisierung in großen Organisationen ist tendenziell größer als in kleinen. Der großen Unternehmung wird auch oft ein überproportional großer Verwaltungsaufwand nachgesagt, der sich etwa in der Relation von Angestellten zu Arbeitern ausdrückt [Kieser / Kubicek 1983: 49, 261].

Gleichförmige und ungleichförmige Aufgaben

Das Bürokratiemodell ist nur dann effizient, wenn eine Organisation es mit gleichförmigen Aufgaben zu tun habe (z. B. Fließbandfertigung von Massengütern, öffentliche Verwaltung). Bei ungleichförmigen Aufgaben erweist sich das zweite Modell als effizienter, da es wesentlich weniger starr ist und eine Anpassung an sich ständig ändernde Aufgabenstellungen erlaubt. Im Hinblick auf den technischen Fortschritt in den Produktionsverfahren und die häufiger notwendigen Produktinnovationen benötigen die Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität, die das bürokratische Modell eher verhindert [Kieser / Kubicek 1983: 49].

Gleichförmige und ungleichförmige Aufgaben im gleichen Unternehmen

Die meisten Organisationen haben es in der Realität gleichzeitig mit gleichföömigen und ungleichförmigen Aufgaben zu tun haben (Eugene Litwak). Daher kann in einzelnen Teilbereichen das eine Modell, in anderen Teilbereichen jedoch das andere Modell angebracht sein [Kieser / Kubicek 1983: 50].

Eugene Litwak. Innovative Betriebe funktionieren nicht bürokratisch

Eugene Litwak (geboren 1925) hat dem Weberschen Bürokratiemodell sein auf dem Human-Relations-Ansatz basierendes alternatives "Human-relation-Bürokratiemodells" gegenübergestellt ("Models of bureaucracy which permits conflict", 1961). Es handelt sich dabei um ein Bottom-up-System. Charakteristisch dafür ist die Verlagerung wesentlicher Entscheidungsfunktionen an die untere Ebene der Hierarchie und damit einhergehend eine Verstärkung der horizontalen Kommunikation und Kooperation. Anstelle der Arbeitskontrolle durch direkte Vorgesetzte wirkt eine wechselseitige Kontrolle durch die ständige Beziehung zu den Kollegen. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells ist eine gute, überwiegend akademische Qualifikation der Mitarbeiter. Es eignet sich besonders für Betriebe, bei denen es in ihrer Ziele auf soziale Fähigkeiten und Geschicklichkeiten ankommt und die von ihren Mitarbeitern eine hohe Flexibilität bezüglich sich ständig ändernder Arbeitsaufgaben und -bedingungen verlangen.

"Mechanistische" und "organische" Organisationsstruktur

Tom Burns (1913 - 2001) und George M. Stalker in "The Management of Innovation" (1961) unterscheiden zwei alternative Strukturtypen, die sie "mechanistisch" und "organisch" nannten. Dabei entspricht der mechanistische Typ dem Bürokratiemodell. Ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass in dynamischen Umweltsituationen Unternehmungen mit einer organischen Struktur erfolgreicher waren als solche mit einer mechanistischen Struktur. Hingegen konnte keiner der beiden Strukturtypen für stabile Umweltsituationen als grundsätzlich effizienter herausgestellt werden [Kieser / Kubicek 1983: 50].

  Organische
Organisationsstruktur
Mechanistische
Organisationsstruktur
Zahl der Hierarchieebenen wenige viele
Ausmaß an formalen Regelungen gering hoch
Genauigkeit formaler Regelungen gering hoch
Unterschiede in der Qualifikation gering hoch

Zell, Helmut: Die Grundlagen der Organisation - lernen und lehren, Norderstedt 2019